Grundsatz Nachtragsprüfung
Nachtragsaufträge sind solche Aufträge, durch die der ursprüngliche Vertrag ergänzt, geändert oder erweitert wird.
Die Nachtragsprüfung ist immer eine Prüfung im Einzelfall der vorliegenden Sachstände, der geschlossenen Vertragsunterlagen einschl. der Leistungsbeschreibungen, den Umständen nach einem Vertragsschluss und den vertraglichen Willen der Vertragspartner. Einheitliche Regel, welche für alle Baunachträge zu treffen, können nicht aufgestellt werden. Möglich sind aber Prüfungsschritte, die wie Checklisten abgearbeitet werden sollten.
Ausgehend von unseren Prüfungserfahrungen und der Rechtsprechung haben wir unsere 5 Prüfungsschritte entwickelt.
Diese effektiven Prüfungsschritte erläutern wir näher in unseren Inhouse Workshops. oder hier
Die beste Prävention zur Vermeidung von Baunachträgen ist eine gute Vertragsgestaltung hinsichtlich geschuldeten Werkerfolg, Vollmachten und eine ausgereifte Planung. Ein Auftraggeber sollte vor Baubeginn wissen was er will und nicht nach Vertragsschluss Änderungen vornehmen.
Ein großer Trugschluss ist auch, dass Pauschalverträge helfen sollen Baunachträge zu vermeiden. Die Rechtsprechung beweist genau das Gegenteil.
Wie soll nun aber in der Praxis eine Prüfung der Baunachträge ablaufen?
1) Der persönliche Wille zur Nachtragsprüfung
Aus dieser Baustellenkommunikation können sich nun Interessenkonflikte ableiten.
Es ergibt sich die Frage für den Auftraggeber, will ich mir diesen Streit wirklich antun, verzögert sich meine Baumaßnahme, welche Risiken können entstehen, akzeptiere ich die Meinung aus unterschiedlichen weiteren Gesichtspunkten oder reicht überhaupt meine Finanzierung?
Ein angestellter Baubetreuer/Bauleiter des Auftraggebers könnte denken, ob es nicht einfacher für ihn ist gleichgültig zu sein (ist nicht mein Geld, Zahlung bringt Frieden, Geld ist aureichend da) oder doch verantwortungsbewusst? Die Frage ist dann auch, welche persönlichen Werte oder Berufsethik sind mir wichtig?
Ein beauftragter Architekt/Bauingenieur wird denken, ob es vielleicht mit seiner eigenen Fehlentscheidungen oder mangelhaften Planung/Ausschreibung was zu tun hat, wo er als Erfüllungsgehilfe haftet (siehe dazu auch Sekundärhaftung des Erfüllungsgehilfen)?
Kann ich überhaupt objektiv den Sachverhalt beurteilen oder ist mein Handeln Ausdruck eines Gefühls/Emotion, was der Andere mit seinen Worten bei mir ausgelöst hat?
Diese Fragestellungen sollten unbefangen, ohne Vorurteile und persönlichen Wertungen vorgenommen werden.
2) Einstieg in die objektive Nachtragsprüfung
Der Beginn einer Nachtragsprüfung hat nach objektiven Gesichtspunkten und unbefangen nach dem Kooperationsprinzip (hier) zu erfolgen.
Die erste Fragestellung bei einer Streitkommunikation auf der Baustelle könnte wie folgt sein:
Du hast aber eine interessante Meinung/Ansicht zu diesem Baunachtrag. Kannst Du mir deine Meinung näher erläutern und begründen?
Denn Du weißt , dass Baunachträge nur dann gefordert werden können, wenn sie nicht schon Vertragsinhalt sind.
Damit wird in die objektive Nachtragsprüfung eingestiegen, wo der Auftragnehmer den Baunachtrag darlegen und beweisen muss. Was ist der geschuldete vertragliche Werkerfolg, was ist die Funktion der beauftragten Leistung und was sind die geschuldeten anerkannten Regeln der Technik?
Entscheidend dabei ist die Vertragsauslegung der geschuldeten Leistungsbeschreibung (nicht zu verwechseln mit dem Leistungsverzeichnis).
Als Leistungsbeschreibung wird die Gesamtheit der Angaben über die nach dem Vertrag zu erbringenden Leistungen verstanden, unabhängig davon ob es sich um zeichnerische, verbale oder konkludente Angaben handelt (vgl. u.a. Thode/Quack "Leistungsbeschreibung und Nachträge)
3) Grundsätze der Vertragsauslegung
Für die Abgrenzung, welche Arbeiten von der vertraglich vereinbarten Leistung erfasst sind und welche Leistungen zusätzlich zu vergüten sind, kommt es auf den Inhalt der Leistungsbeschreibung (Anm.: nicht zu verwechseln und nicht gemeint ist ein Leistungsverzeichnis) an. Welche Leistungen durch die Leistungsbeschreibung erfasst sind, ist durch Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien zu ermitteln, §§ 133, 157 BGB. Dabei sind das gesamte Vertragswerk und dessen Begleitumstände zugrunde zu legen (BGH VII ZR 202/04). Neben dem Wortlaut der Ausschreibung sind die Umstände des Einzelfalles, unter anderem die konkreten Verhältnisse des Bauwerks zu berücksichtigen (BGH VII ZR 376/00).
Der Senat hat dazu auch darauf hingewiesen, dass der Auftragnehmer ein erkennbar lückenhaftes Leistungsverzeichnis nicht einfach hinnehmen darf, sondern sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Abgabe des Angebots klären muss. Ähnlich ist es, wenn sich für ihn aus dem Leistungsverzeichnis und den ihm überlassenen Unterlagen die Bauausführung in bestimmter Weise nicht mit hinreichender Klarheit ergibt, er darauf aber bei der Kalkulation maßgebend abstellen will. Auch dann muss er versuchen, in soweit aufkommende Zweifel vor Abgabe des Angebots auszuräumen, wenn sich das mit zumutbarem Aufwand machen lässt (BGH VII ZR 194/06).
Die Fragen, was heißt "erkennbar" oder "geschuldeter Werkerfolg" beantworten wir in unseren Schulungen.
Jede Nachtragsprüfung, soweit sich die Vertragspartner nicht einig sind was geändert oder zusätzlich sein soll, wird von subjektiven Emotionen der Vertragsparteien gesteuert. Dies wird besonders noch dann angeheizt, wenn sich Personen am Verfahren beteiligen, welche beruflich überhaupt nicht für eine Nachtragsbetrachtung ausgebildet sind und gleichzeitig aber ihre Interessen durchsetzen wollen.
Streitigkeiten über Baunachträge landen dann oft bei den Gerichten, noch öfter werden Vertragskündigungen ausgesprochen oder Baueinstellungen vorgenommen. Dies führt zur Verschärfung der Emotionen.
Auf dieser emotionalen Ebene können die wenigsten Streitigkeiten beigelegt werden. Wir haben des öfteren schon feststellen müssen, dass selbst bei offenkundigen, ganz klaren Voraussetzungen trotzdem weiter gestritten wurde nur um selber dem eigenen Ego zu beweisen, dass es Recht hat.
Auffällig ist bei Prüfungen in der öffentlichen Verwaltung, dass die beauftragten Architekten und Fachingenieure sich zu Nachtragsprüfer aufschwingen oder sich bestimmen lassen. Dies ist bedenklich, weil diese Berufsgruppen im Allgemeinen nicht in der Auslegung von Werkverträgen im Einzelfall ausgebildet worden sind und das Rechtsdienstleistungsgesetz zu beachten ist. Die Gründe sind oftmals offensichtlich, weil mit der Nachtragsprüfung Fehler in der eigenen Planung/Ausschreibung/Bauüberwachung überdeckt werden können.
Prüft man Nachtragsvereinbarungen in der öffentlichen Verwaltung, welche von Architekten/Ingenieure bearbeitet wurden, stellt man fest, dass in den wenigsten Fällen die Anspruchsarten mit seinen Rechtsfolgen geprüft wurden.
Die Baunachtragsbegründungen beschränken sind auf die Feststellungen der Architekten/Fachingenieure z.B. beim VOB-Vertrag auf „Preise sind marktüblich“ oder „angemessen“ sowie „Leistung war im Leistungsverzeichnis nicht beinhaltet“. Jede dieser Feststellungen sind nicht ausreichend. Entscheidend ist nicht, ob was in einem Leistungsverzeichnis wörtlich steht, sondern wie der Werkvertrag in seiner Gesamtheit der Leistungsbeschreibung auszulegen ist.
Jeder Architekt/Bauingenieur muss sich selber die Frage beantworten, ob er eine Rechtsberatung im Einzelfall (jeder Baunachtrag ist eine Beratung im Einzelfall dem Grunde nach eine rechtliche Anspruchsart) machen kann und dies durch seine Berufshaftpflichversicherung gedeckt ist.
§ 5 Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit
Zum VOB - Vertrag hat der BGH dazu entschieden:
"Der Auftragnehmer hat den Preis schlüssig darzulegen. Dazu gehört die Darlegung der Mehr – und Minderkosten, die sich aus der Änderung des Bauentwurfs oder den anderen Anordnungen ergeben (BGH VII ZR 179/98).
Eine Klage, mit der lediglich erhöhte Kosten einzelner Elemente der Preisgrundlagen geltend gemacht werden, ist grundsätzlich unschlüssig, weil sie nicht die geforderte Mehr – und Minderkostenberechnung enthält. Eine Klage, welche sich lediglich auf Mehrkosten einzelner Kalkulationsgrundlagen stützt, ist nicht schlüssig (BGH VII ZR 205/07)."
Die Prüfung von Anspruchsgrundlagen der Baunachträge "dem Grunde nach" ist, nach Ansicht des Verfassers, nicht ohne Grund keine Grundleistung und keine Besondere Leistung bei den Architekten oder Fachingenieuren. Bei der Prüfung der rechtlichen Anspruchsgrundlagen ("dem Grunde nach") ist auch das Rechtsdienstleistungsgesetz zu beachten.
Zu hinterfragen ist dabei, ob diese Sachverhalte (Beratung bei Rechtsfragen im Einzelfall) überhaupt durch die Berufshaftpflicht bei den Architekten/Ingenieure abgedeckt sind?
Beispiele aus den Anlagen der HOAI:
Nach Ansicht des Verfassers kann der Verordnungstext der Anlage 10 zu Grundleistungen in der LpH 7 nicht dahingehend ausgelegt werden, dass "Prüfen und Werten der Angebote zusätzlicher und geänderter Leistung" bedeutet, dass der Erfüllungsgehilfe die unterschiedlichen rechtlichen Anspruchsarten (Schadensersatz, Entschädigung, Mehrvergütung aus rechtsgeschäftlichen Anordnungen) im Einzelfall prüfen und die Entscheidung für einen gerechtfertigten oder ungerechtfertigten Baunachtrag treffen muss und dies mit seinem Honorar für Grundleistungen abgegolten ist. Dagegen spricht schon der Wortlaut des Rechtsdienstleistungsgesetzes.
Mithilfe bei der Vergabe bedeutet, dass der Erfüllungsgehilfe seinen Auftraggeber unterstützt und er davon ausgehen muss, dass der Auftraggeber die Anspruchsarten rechtlich geprüft hat (Bauherrenaufgabe), der Anspruch gerechtfertigt ist (z.B. durch rechtsgeschäftliche Anordnung des Auftraggebers) und jetzt die Leistung und der Preis des gerechtfertigten Nachtragsangebotes bewertet werden soll. Dies in technischer oder preislicher Hinsicht. Dabei sind die Grundsätze und die Besonderheiten beim BGB - und VOB - Bauvertrag zu beachten.
Mitwirkung bei begründeten Nachtragsangeboten ist dahingehend auszulegen, dass der Auftraggeber die rechtliche Anspruchslage der Baunachträge bereits geprüft hat (Prüfung dem Grunde nach), den Anspruch des Auftragnehmers bejaht und der Architekt nur bei der bauwirtschaftlichen Preisfindung mithelfen soll. Diese Mithilfe ist aber eine besonders zu vergütende Leistung und keine Grundleistung.
In der Praxis der Baunachtragsprüfung macht diese Verfahrensweise auch Sinn. Der Auftraggeber als Besteller hat seine vertragliche und rechtsgeschäftliche Verantwortung wahrzunehmen. Der Erfüllungsgehilfe kann seinen Auftraggeber unterstützen, sollte aber auch die Grenzen im Rahmen seines Berufsbildes aufzeigen. Werden rechtliche Sachverhalte abgesprochen, muss sich der Auftraggeber sachverständliche Hilfe holen. Letztendlich ist es auch eine Haftungsfrage, wenn die Architekten/Ingenieure eine Rechtsberatung zu Anspruchsarten bei Baunachträgen durchführen.
Auftraggeber sollten bei der Wahrnehmung der eigenen Verantwortung auch beachten, das der Erfüllungsgehilfe als Beteiligter des Baugeschehens und auch der Baunachträge (z.B. Schlechtleistung Planung u. Ausschreibung) als befangen gelten kann. Zur Entschärfung der Emotionen sollte deshalb eine neutrale Prüfung erfolgen. Neutral heißt dabei, dass Personenen einen Baunachtrag prüfen, welche überhaupt nicht mit dem Bauvorhaben verbunden sind und dadurch objektive Feststellungen treffen können (Stichwort objektiver Empfängerhorizont).
Dazu ist es besonders hilfsreich, wenn ein eigenes objektives Nachtragsmanagement aufgebaut wird. Wie? Dazu hier
Prüfungsschritte im Rahmen unserer Inhouse-Schulungen
Wie unterschiedlich die Nachtragsprüfung beim Werkvertrag sein kann, hängt von der Vertragsgestaltung ab. Wurde ein VOB- oder ein BGB-Vertrag geschlossen? Davon hängen schon die Rechtsfolgen und die Anspruchsarten, welche unterschiedlich sind, bei der Nachtragsprüfung ab.
Fragen wie Bauzeitverlängerungen, Entschädigung, Schadensersatz oder Gläubigerverzug sind bei der Nachtragsprüfung genauso zu behandeln wie Vollmachten, Anordnungen oder geschuldeter Werkerfolg/Funktion.
Unterlässt man die Prüfung der möglichen rechtlichen Anspruchsarten, so kann man schnell in die eigene Haftung genommen werden.
Die Praxisbeispiele aus den Prüfungen bei der öffentlichen Verwaltung zeigen, dass die städtischen Mitarbeiter entsprechend geschult werden sollten. So können erhebliche Steuergelder gespart werden (siehe auch).
Einige nachfolgende Beispiele sollen den Sachverhalt verdeutlichen.
(Anmerkung: Der Beitrag ist die persönliche Auffassung des Verfassers und stellt keine rechtliche oder bautechnische Beratung dar)