Bauen im Bestand vs Nachtragsmanagement
Das Bauen im Bestand im Spannungsfeld des Nachtragsmanagement
(Gedanken zu Prüfungen in der öffentlichen Verwaltung)
Prüfer der öffentlichen Verwaltung werden das Problem der vermehrten Baunachträge bei Baumaßnahmen im Bestand, ob Modernisierung, Rekonstruktion und Umbau, kennen. Bei manchen Baumaßnahmen explodieren regelrecht die Baukosten. Werden dann diese Baumaßnahmen durch objektive technische Prüfer untersucht und Fragen zu den explodierenden Baukosten gestellt, dann stehen oft ratlose und schulterzuckende Fachbereichsleiter oder technische Abteilungsleiter einem gegenüber. Es wird sich hinter vielen Ausreden versteckt und andere Sachverhalte vorgeschoben (keine Zeit, fehlendes Personal, politischer Druck wegen Eröffnung, Beförderungen usw.).
Immer dann, wenn die Prüfer einen Dritten, sei es einen politischen Entscheidungsträger, einen verbeamteten Fachbereichsleiter, einen angestellten Bauingenieur oder einen Bauunternehmen auf seine unzureichende Arbeitsweise hinweisen, wird dieser Dritte sofort jegliche Verantwortung zurück weisen. Das ist normal und lebensnah, denn welche Führungskraft gesteht schon eigene Fehler ein oder welcher Angestellte nimmt bereits auf der Baustelle getroffene Sachverhalte/Entscheidungen wegen eigener Unkenntnis zurück.
Schuld wird von sich gewiesen und Aussagen ohne nähere Begründung in Frage gestellt. In einem zweiten Schritt wird auf die wirtschaftlichen Aspekte verwiesen, besonders auf mögliche Mehrkosten oder Bauzeitenverlängerungen.
Einer der meistverwendeten Aussagen zu Kostensteigerungen ist der Verweis auf das „Bauen im Bestand“. Die Mehrleistungen waren nicht zu erkennen, nicht planbar und nicht ausschreibbar. Das muss eben der Auftraggeber einfach hinnehmen, so die Feststellungen der beauftragten Architekten. Aus den Gründen der Eigendynamik eines „Bauens im Bestand“ ist auch kein „Schuldiger“ zu ermitteln und ein Nachtragsmanagement nicht möglich. Die Mehrkosten sind einfach zu bezahlen. Die Kosten wären sowieso entstanden, so die Ansicht eines Bürgermeisters in einer öffentlichen Stadtratssitzung, was von einer gewissen Arroganz gegenüber Steuergeldern zeugt.
"Ganz abgesehen davon sind sorgfältige Planung und Disziplin bei der Abwicklung keineswegs sonderlich verbreitet, zumal sie für Planer und Überwacher aufwendig sind, wobei der Aufwand für Sorgfalt sich als nicht vergüteter Kostenfaktor darstellt" (Thode in Hamburger Baurechtstage 2008)
Stellt sich die Frage, ob beim „Bauen im Bestand“ vielleicht ein anderes Werkvertragsrecht gilt und ein Nachtragsmanagement wirklich nicht möglich ist.
Wenn man diese zentrale Fragestellung hinsichtlich der Arbeitsvorbereitung innerhalb der öffentlichen Verwaltung, der externen Planung und Ausschreibung durch die beauftragten Architekten/Ingenieure und der öffentlich-rechtlichen Vergabeverfahren beantwortet, dann können die angetroffenen Erscheinungen richtig gewertet werden.
Grundsätzlich bestehen bei einem "Bauen im Bestand“ im Vergleich zu Neubaumaßnahmen keine Unterschiede im Werkvertragsrecht. Das Verpflichtungsgeschäft ist gleich. Was anderes kann man dem §§ 631 BGB nicht entnehmen. Der Auftragnehmer schuldet dem Besteller als Auftraggeber die vertragliche mangelfreie Leistung innerhalb des vorgesehenen Leistungsraumes. Die zu erbringende Leistung wird durch die Leistungsverpflichtung des Werkvertrages begrenzt (nicht durch das Leistungsverzeichnis!!). Sie richtet sich nach der Erfolgshaftung des Werkunternehmers und der Funktion der Vertragsleistung. Von dieser Erfolgsbezogenheit des Werkvertrages ist auch keine Ausnahme beim „Bauen im Bestand“ zu machen.
Nachtragsaufträge sind somit Aufträge, durch die der ursprüngliche Vertrag ergänzt, geändert oder erweitert wird.
Somit ist das Nachtragsmanagement uneingeschränkt auch beim „Bauen im Bestand“ anwendbar.
Unstrittig ist der Bauaufwand beim „Bauen im Bestand“ erheblich höher wie bei einer Neubaumaßnahme. Dies dürfte dem Fachkreis klar sein. Ein verantwortungsvoller Bauunternehmer kalkuliert diesen Mehraufwand in seine Angebotspreise ein, soweit es sich um vertraglich geschuldete Leistungen handelt. Das bedeutet aber nicht, dass der Bauunternehmer beim „Bauen im Bestand“ ein erhöhtes Risiko der Leistungsverpflichtung uneingeschränkt eingehen will. Dies ist nicht der Fall. Nach Werkvertrag schuldet er seine Erfolgshaftung unter den Bedingungen der vereinbarten und üblich zu erwartenden Beschaffenheitsmerkmale und den anerkannten Regeln der Technik. Der erhöhte Aufwand wird mit dem Preis abgegolten.
Entstehen Baunachträge, dann gilt das Baunachtragsrecht uneingeschränkt einschl. der notwendigen Anspruchsgrundlagen und der sich daraus abzuleitenden Rechtsfolgen, kurz analog dem Neubau.
Architekt als Erfüllungsgehilfe
Nicht anders beim planenden und ausschreibenden Architekten. Auch hier gilt es, in der Bewertung der erbrachten Leistung das Werkvertragsrecht anzuwenden. Zur Bestimmung der geschuldeten Leistung einschl. der Erfolgshaftung muss man auf den geschlossenen Werkvertrag schauen und nicht in die HOAI. Die HOAI ist kein Vertragsrecht.
Nach der im Werkvertrag vereinbarten Leistungspflicht regelt sich die Vergütung. Handelt es sich bei der Leistungspflicht um Grundleistungen, welche in der HOAI aufgeführt sind, dann sind die Regelungen und Grundsätze aus der HOAI maßgebend, sonst die übliche Vergütung (§ 632 BGB).
Nichts anderes gilt beim „Bauen im Bestand“. Führt der beauftragte Architekt Leistungen entsprechend den Grundleistungen aus, steht ihm möglicherweise ein Umbauzuschlag oder die mitzuverarbeitende Bausubstanz gesetzeskonform zu. Diese Zuschläge sollen den erhöhten Aufwand des Architekten beim „Bauen im Bestand“ abdecken. Bewegt sich der Architekt außerhalb der Grundleistungen, so kann die Vergütung frei vereinbart werden.
Der vertraglich geschuldete Werkerfolg (Erfolgshaftung) einschl. der Funktion bleibt davon völlig unberührt. Sind vertraglich keine Beschaffenheitsmerkmale vereinbart worden, gilt die übliche Beschaffenheit oder das, was der Besteller erwarten kann. Beim „Bauen im Bestand“ ist das als erste Maßnahme, dass eine Bestandsanalyse durchgeführt wird. Im Rahmen eines geplanten Umbaus im Bestand ist deshalb stets die erste Leistungspflicht des Architekten, zunächst eine Bestandserkundung durchzuführen. Macht der Architekt die Erkundungen nicht, hat er dafür einzustehen und haftet für die Folgen (BGH VII ZR 283/95). Es ist auch bedeutungslos, ob er für alle Belange der Bestandserkundung genügend Sachkunde hat. Werden trotz sorgfältiger Bestandserkundung (Empfehlung: der Nachweis der Sorgfältigkeit sollte durch eine schriftliche Dokumentation erfolgen) Mängel des Bestandes nicht erkannt sondern erst durch umfangreiche Bauteilöffnungen, so ist der Architekt verpflichtet, den Besteller umfassend und unverzüglich über die Sachstände und Folgen zu unterrichten (BGH VII ZR 436/98).
Verfügt er nicht selber über genügende Sachkunde, so hat er den Besteller zu informieren und diesen zu bitten, entsprechende Sachverständige zusätzlich zu beauftragen.
Der Architekt hat im Rahmen seiner Grundlagenermittlung den Bestand zu erkunden und den Besteller zum gesamten Leistungs – und Untersuchungsbedarf (z.B. spezielle technische, chemische oder bauphysikalische Substanzuntersuchungen) hinzuweisen und zu beraten. werden notwendige Erkundungen während der Grundlagenermittlung nicht angestellt oder unterlaufen, so sind die Ursachen für eine spätere Architektenhaftung gesetzt (so z.B. OLG Koblenz 4 U 276/05).
Wie weit die Untersuchungspflicht des Architekten reicht, hängt davon ab, welche Entscheidungsgrundlagen der Besteller braucht und wie tief in den Bestand eingegriffen werden muss.
Entscheidend ist somit die vertragliche Leistungspflicht des Architekten hinsichtlich seiner Erfolgshaftung und nicht, dass die technische Substanzerkundung nach Anlage 10 zu § 34 HOAI vielleicht eine besondere Leistung ist und schriftlich zu vereinbaren wäre.
Vereinfacht gesagt, der Architekt als Erfüllungsgehilfe des Bestellers muss im Rahmen seiner Grundlagenermittlung den Bestand erkunden, er muss auch ein Bestandsaufmaß anfertigen und eine technische Substanzuntersuchung vornehmen, wenn nur dadurch der Werkerfolg zu erreichen ist und wenn keinerlei Beschaffenheitsmerkmale vertraglich (mündlich oder schriftlich) vereinbart wurden und dies zu seinem versprochenen Werkerfolg gehört. Allerdings gehört es auch zu seiner Hinweis- und Beratungspflicht, dass er den Besteller über diese Sachverhalte und Leistungen aufklärt und auf die entstehenden Kosten hinweist.
Im Normalfall wird dies aber in dieser Form nicht eintreten, weil man davon ausgehen kann, dass Vertragspartner entsprechende Vereinbarungen zum Bestandsaufmaß und Substanzuntersuchungen getroffen haben. Die Prüfungserfahrungen haben gezeigt, dass diese Form in den wenigsten Fällen eintritt. Häufig wird aber festgestellt, dass die beauftragten Architekten als Erfüllungsgehilfe den Bestand nicht ausreichend erkunden aber das erhöhte Honorar für einen Umbauzuschlag oder der mitzuverarbeitenden Bausubstanz voll beanspruchen und auf die Baunachträge der Baufirmen vertrauen (die Bauerkundung wird auf die Bauunternehmen verlagert). Dadurch wird der eigene Büroaufwand gering gehalten. Da die Baunachträge „sowieso“ entstehen würden, wäre ein Schaden für den Auftraggeber nicht feststellbar (s.g. Sowieso-Kosten). Dies ist falsch, denn wegen der fehlenden Bestandserkundung ist die Leistung des Architekten mangelhaft, egal ob s.g. "Sowieso-Kosten" vorhanden sind. Das Honorar ist nach dem Leistungsstörungsrecht des BGB zu behandeln.
Bauunternehmer als Auftragnehmer
In seiner gesamtschuldnerischen Haftung hinsichtlich des Werkerfolges gilt für den Bauunternehmer beim „Bauen im Bestand“ nichts anderes als beim Architekten als Erfüllungsgehilfen.
Der Bauunternehmer schuldet den Erfolg seiner ihm übertragenen Leistungspflicht einschl. der Funktion der zu erbringenden Leistung. Den möglichen Mehraufwand für ein „Bauen im Bestand“ hat er in seine Kalkulation einzuarbeiten.
Dazu ein Beispiel aus der Praxis. Dabei entstanden Baunachträge weit über 250.000 € und soll die Tragweite des „Bauens im Bestand“ verdeutlichen.
Ein über 100 Jahre altes Gebäude soll zu einem Kindergarten umgenutzt werden, u.a. sollen neue Trockenbauwände eingebaut werden. Nach Leistungsbeginn macht der Trockenbauunternehmer u.a. Nachträge für einen gleitenden Anschluss an den Holzbalkendecken geltend und erhebt Bedenken gegen losen Kalk-Wandputz.
Nach Ansicht des Trockenbauers wäre der gleitende Anschluss nicht ausgeschrieben gewesen und somit ein Baunachtrag, hilfsweise eine besondere Leistung nach VOB/C.
Der Nachtrag zu den gleitenden Anschlüssen ist abzulehnen. Zur Leistungsverpflichtung bei einer Trockenbauwand gehört unstrittig auch der Deckenanschluss. Er ist gleitend auszubilden, wenn die Decke einer stärkeren Durchbiegung (wie bei Holzbalkendecken) unterliegt (anerkannte Regeln der Technik, Herstellervorschriften). Das bei einem so altem Gebäude Holzbalkendecken vorhanden sind und keine Stahlbetondecken ist offensichtlich und nicht überraschend für den Trockenbauunternehmer.
Der lose Kalk-Wandputz gehört nicht zu seiner Leistungsverpflichtung. Die Beauftragung zum großflächigen Abbruch des Kalkputzes ist ein Nachfolgeauftrag, unter den Bedingungen einer freihändigen Vergabe und kann beim öffentlichen Auftraggeber ein schwerwiegender Vergabeverstoß sein, welcher zur Kürzung von Investitionszuschüssen führen kann. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist in diesem Punkt eindeutig.
Stellt sich die Frage, ob der beauftragte Architekt seine Leistung mangelfrei erbracht hat. Dies wird zu verneinen sein. Bei einer angemessenen Bauwerkserkundung hätte er durch einfaches Abklopfen des Putzes feststellen können, dass der Kalkputz lose ist und Hohlstellen hat. Diese Bauwerkserkundung hat er unterlassen.
Die Grundlagenermittlung schließt eine Beratung zum gesamten Leistungsbedarf ein. Dabei sollen die Probleme, die sich aus der Bauaufgabe, den Planungsanforderungen und den Zielvorstellungen des Bestellers ergeben, untersucht, analysiert und geklärt werden (BGH VII ZR 4/12).
Für seine mangelhafte Leistung kommt es auch nicht darauf an ob ein Schaden im Zeitpunkt der Feststellung schon entstanden ist. Das ist nach dem Leistungsstörungsrecht des BGB (hier Schaden aus einer Pflichtverletzung) nicht notwendig.
Zu einem Schadensersatzanspruch kann auch eine fehlerhafte Grundlagenermittlung führen (BGH VII ZR 4/12). Der Besteller kann als Schadensersatz vom Architekten diejenigen Kosten erstattet verlangen, die ursächlich auf die mangelhafte Planungsleistung zurückzuführen sind. Hierzu gehören neben dem an den Architekten gezahlten Honorar auch die aufgewendeten Baukosten. Ein noch nicht erfüllter Honoraranspruch des Architekten entfällt (BGH VII ZR 55/13).
Eine Aufforderung zur Nachbesserung seiner Leistung kann unterbleiben (BGH VII ZR 171/08). Der Besteller hat bei dem Bautenstand regelmäßig kein Interesse mehr daran, dass die Grundlagenermittlung noch nachgeholt werden soll.
Fazit der Betrachtung
Ein „Bauen im Bestand“ und ein wirksames Nachtragsmanagement schließen sich nicht aus. Im Gegenteil, das Nachtragsmanagement ist ein wichtiger Baustein beim Baukostenmanagement des Bauvorhabens.
Die ablehnende Haltung einiger städtischer Bediensteter in den öffentlichen Stadtverwaltungen beruht zum großen Teil auf Unkenntnis der Rechtslage und ist im Grundsatz wegen dem sparsamen Umgang mit Steuergeldern bedenklich.
Grundvoraussetzung im Verpflichtungsgeschäft ist eine fehlerfreien Planung bzw. Bauausführung unter Beachtung der Einhaltung der vertraglich oder gewöhnlich vorausgesetzten Beschaffenheit einschl. der allgemein anerkannten Regeln der Technik und Baukunst.
Die erhöhten Aufwendungen durch ein „Bauen im Bestand“ werden im Verfügungsgeschäft durch Zuschläge (Kalkulation, Umbauzuschlag, mitzuverarbeitende Bausubstanz) vergütet.
Hilfreich zum besseren Verständnis und Verarbeitung der Baunachträge sind unsere Inhouse-Schulungen und Fachvorträge.
(Anmerkung: Die Ausführungen sind die persönlichen Ansichten des Verfassers und stellen keine rechtliche oder bautechnische Beratung im Einzelfall dar)